Bewertungen 2016

Weinfreunde und weinfanatic geniessen immer wieder einen guten Tropfen. Hier finden sich die dazugehörigen Notizen.



«WEINRALLYE #105: BADEN IST…NACKT»

Badener Stadtwein, Künstleredition, 2014

 

Weinverkostung: 30. Dezember 2016

Herkunft: Schweiz, Aargau

 

N: Erdbeeren, Himbeeren, Sauerkirschen

G: Rote Früchte, Rauchton, balsamisch

WF: 8.0/10.0 [nackt und gut]

Badener Stadtwein, Künstleredition Eric Hattan, 2014
Badener Stadtwein, Künstleredition Eric Hattan, 2014

Kommentar: Da gibt es einen Martin. Er ist freundlich. Er befasst sich mit Flüssigkeiten. Mit flüssigen Freundlichkeiten um genau zu sein. Jetzt bitte keine Gedanken und Sprüche die unter die Gürtellinie zielen. Nein, eigentlich wollen wir gesittet bleiben. Wobei dieses Weinralley-Thema: Etikettentrinker!!! Das hat ja schon irgendwie mit Äusserlichkeiten zu tun…oder so…

 

Es geht also um Wein. Um Etiketten und das Rundherum. Also auch um das «Warum». Wein – wie auch die Etikette des selbigen – hat im nächsten und weitesten Sinne was mit Kunst zu tun. Die Assemblage der verschiedenen Lagen, Traubensorten oder Toastings [nur um ein paar der inneren Entscheidungszwänge zu nennen…] hat viel mit künstlerischem Flair zu tun – des Winemakers. Die Feigenblätter auf der Vorderseite der Flaschen können altmodisch [Burgund], barock [Chianti], üppig [Mosel], minimalistisch [Kalifornien], farbenfroh [Bolgheri], lustig [Douro],  modern [Washington] oder einfach NACKT [Baden, Schweiz] sein.

Jawohl: NACKT! Die kleine Freistadt Baden, die nicht ganz mittig zwischen ihren Vororten Basel [Norden], Bern [Westen], Luzern [Süden] und Zürich [Osten] liegt, gönnt sich jährlich einen eigenen Stadtwein. Zwecks politischen Empfängen [zum Weinen], Begrüssung der Jungbürger [von den Leinen] oder als Geburtstagsgeschenk an Politkollegen [für die Seinen] werden sie oft ringsum verteilt. Die Etikette dazu wird jeweils jährlich von einem anderen Künstler «designed». Im vorliegenden Fall ist es schwer von einer wirklichen Etikette zu sprechen. Es ist mehr eine Art Reif. Ein Schweissbändchen auf dem Haupt der Flasche. Sonst? Nichts – nur das pralle Leben. Ob hier wohl ein Politiker seinen Senf im Vorfeld dazu abgeben konnte? Der Bürgermeister [Stadtammann] vielleicht?

 

OK – es war ein Künstler der diese Etikette entworfen hat. Die allergrösste Kunst ist es bekanntlich Kunst als solche zu erkennen. Man schwankt immerzu zwischen Kunst [?], Schrott [?] oder Pornographie [?]. Im Stile von «Ist das Kunst, oder muss das weg»? Um es vorwegzunehmen: Wir wissen es nicht. Wozu das orange Bändchen? Der Oranierorden war nie in Baden. Holländer haben in Bern genächtigt als sie fast die EM 2012 gewannen. Zitrusfrüchte wachsen hier auch keine. Vielleicht wollte der Künstler die Freizügigkeit dieser wunderschönen und herzigen Stadt aufzeigen. Im Stile von «Wir sind so schön, dass wir uns von der Flasche [Gewächs] bis zum Stadthaus [Gemächt] quasi nackt zeigen können. Vielleicht. Baden ist...

 

Der Wein. In der Nase ist es eine «beerige» Sache. Erdbeeren und Himbeeren eifern um die Wette. Dicht gefolgt von Sauerkirschen. Eine angenehme Komposition im Riecher. Am Gaumen sind es rote Früchte, ein weicher Rauchton und balsamische Noten die dominieren. Der Tropfen wirkt schlank, rank und weich. Ob der Künstler wohl davon gekostet hat, bevor er die «Etikette» hergestellt hat? War er ein «Etikettentrinker»? Fragen über Fragen. Jedenfalls: Die minimalistische Art oder besser gesagt, die nackten Tatsachen der Etikette drücken sich ziemlich gut im Wein aus. Es handelt sich dabei um keinen durchtrainierten und wohlbepackten Athleten. Es ist mehr ein drahtiger, sehniger und schlanker Mittellandkämpfer der hier vor einem steht.

 

Anmerkung: Dies ist ein nicht allzu bierernster Text im Rahmen der «Weinrallye #105» und des Blogs «Flüssige Freundlichkeiten».



«DIE HOHE SCHULE DES ALENTEJO»

Athayde Grande Escolha, Monte da Raposinha, Alentejo, 2009

 

Weinbewertung: 27. Dezember 2016

Herkunft: Portugal, Alentejo

 

N: Blaubeeren, Zedernholz, Teer, Milchschokolade

G: Volumen, Lavendel, Zigarrenbox

WF: 9.0 [ausgezeichnet]

 

Bezugsquelle: viDeli DE | Amarela CH

Preis: € 23.50 | CHF ~35.-

Kommentar: Ein wundervoller und aromatischer Rotwein aus Portugal. Er passt mit seiner fast vollkommenen Wesensart perfekt in den schönen Landstrich südöstlich von Lissabon. Aus dieser Region stammen wohl die meisten Korken in all den erlesenen Weinen die in unseren Kellern lagern.  Daneben gedeihen dort ebenfalls unheimlich schöne, vielfach dichte, voluminöse und körperreiche Rotweine.

Sie sind zumeist breiter als all die vom nördlich gelegenen Douro. Jedoch sind sie - wenn sie gut gemacht sind - nie wirklich fett. Ist die Hauptcharakteristik der Weine vom Douro zur Hauptsache mit der Erde und dem Boden verbunden, so sind die Tropfen aus dem Alentejo eher von der geschmeidigen und edlen Sorte. Es sind Noten die in Richtung dunklen Beeren, blau-schwarzen Steinobst und Gewürzen tendieren.

 

Der Grande Escolha Athayde von Monte da Reposinha ist ein Paradebeispiel für einem tollen und aristokratischen Wein aus dem Gebiet. Überraschenderweise wiegt bei ihm Syrah als Traubensorte am schwersten. Alicante Bouchet verleiht ihm Spur und Präzision während Aragones und Touriga National in die Tiefe gehen und ihn erden. In der Nase Schwarzbeerigkeit, die vermengt ist mit Teer und Zedernholz. Wahrlich schöne Aromenfülle. Wohl durch den Barriqueausbau versprüht er dezente und cremige Vanillenoten die an Milchschokolade erinnern.

 

Am Gaumen schönes Volumen. Er breitet sich im Rachen richtiggehend aus und füllt diesen mit Noten von verschiedenen getrockneten Gewürzen - wobei Lavendel vorherrscht. Im längeren Abgang dominiert der Duft einer geöffneten edlen Zigarrenbox. Dies trägt den Tropfen minutenlang und nachhaltig in die ewigen Jagdgründe.

 

Will man nach getaner Arbeit entspannt und zufrieden einen guten Wein trinken, sind Tropfen aus dem Alentejo das richtige Mittel dazu. Bei jedem Schluck wünscht man sich an einem kalten Winterabend die Schönheit Évoras, die Weite des Korkeichenlandes und die Wärme der Sonne im Alentejo zurück.



«SEIN NAME SEI...HERMANN»

Christian Hermann, Pinot Noir Reserve, 2005

 

Weinbewertung: 15. Dezember 2016

Herkunft: Schweiz, Graubünden

 

N: Kalter Kamin, Rosenduft, braunes Leder, Cola

G: Tabak, Pfeife, Dörrpflaumen

WF: 9.0 [ausgezeichnet]

 

Bezugsquelle: Christian Hermann Weinbau

Preis: CHF 40.-

Christian Hermann ist ein feiner und sehr netter Winzer aus der Bündner Herrschaft. Getroffen haben wir ihn vor ein paar Jahren an einem frühen Samstagmorgen. Seine egustationsstube liegt – im Gegensatz zu seinen Rebbergen – am szenerievollen Walensee. Die Zinnen und der Grat der beeindruckenden Bergriesen um den See herum kündigte es an: Die Menschen müssen sich hier mit dem abfinden, was ihnen die karge voralpine Landschaft bereit ist abzugeben.

 

Ein verhangener Himmel, Regen und ein ernster Christian Hermann empfingen uns. Frisches, knuspriges (St. Galler!)-Brot und spannende Geschichten rund um das Weingut liessen die Witterungsbedingungen draussen schnell verblassen. Erst recht, als der Winzer seine Chardonnays auffahren liess. Sonne, Sommer und der karge Grund waren darin geschmeidig eingegossen.

Die ersten Emotionen in Form von leisen «Aaahs» und «Ooohs» machten die Runde.

 

Christians Weine sind von einem ernsthaften Schlag. Sie sind kühl, ein wenig reserviert, zurückhaltend und stiller als andere. Wie der Winzer selbst. Nicht anders ist es mit seinem Reserve aus der Traubensorte Pinot Noir. Der Fläscher Pinot Noir 2005 war ein Geschenk zur Hochzeit. Langlebigkeit ist also das Optimum, das der beschenkte Bräutigam sich von diesem Wein erhoffen durfte. Vielleicht auch noch, dass er in Würde altert und [noch] Spass macht.

 

Dies ist im Fall des Jahrgangs 2005 deutlich untertrieben. Nicht nur, dass der Tropfen lebt [und wie!!!]. Dieser Wein haut einen regelrecht um. Die Farbe ist unheimlich hell. Im Bereich von Ziegelstein und Kupfer. Kurz nach dem Öffnen ist ein erkalteter Kamin irgendwo zu erahnen. Nach längerer Belüftung dann, zeigen sich in der

Nase zarte ja fast schon zerbrechliche Noten nach Erdbeercréme und getrockneten Rosen. Konservierte Liebeszeichen. Doch auch Düfte von edel gegerbtem braunem Leder und im positiven Sinne «Cola» machen sich subtil bemerkbar. Es stellt einem die Nackenhaare auf. Es ist wie ein Blick in diese monumentale Szenerie. Ein Blick von den Gestaden des Sees hinauf zu den Zinnen des Gebirges.

 

Den Gaumen beschenkt die nach wie vor vorhandene Säure mit wunderbarer Frische. Der Wein ist warm und weich. Balsamisch ummantelnd. Die Tannine sind verschwunden oder eher Eins mit dem Body des Tropfens. Deutliche Aromen nach Blutorangen, Tabak und süssem Pfeifenrauch. Trotz der Zärtlichkeit ist er aber kraftvoll und lang. Im Abgang klingt er eine halbe Ewigkeit nach. Wie ein Echo das sich von Wand zu Wand entlang der Berge fortsetzt.

 

Obwohl noch der eine oder andere Jahrgang in unseren Kellern schlummert, wird es Zeit Christian erneut einen Besuch abzustatten. Um zu reden, zuzuhören und sich ganz der Magie der Berge, seiner Winzer und Weine hinzugeben.



«KOLLEGEN – VON [AMTES] WEGEN»

Weingut Friedrich Becker, Riesling «Holzgasse», 2010

 

Weinbewertung: 10. Dezember 2016

Herkunft: Deutschland, Pfalz

 

N: Steine, Kalk, Rosmarin, grüner Apfel

G: Mandarinen, Mango, Bienenwachs, Petrol

WF: 8.5 [von Amtes wegen geprüft und für sehr

gut befunden :-)]

 

Bezugsquelle: direkt beim Weingut DE | Paul Ullrich CH

Preis: CHF ~18.- | € 12.-

Friedrich Becker, Riesling Holzgasse, 2010
Friedrich Becker, Riesling Holzgasse, 2010

Kommentar: Dieser schöne trockene Riesling – und mit ihm einige andere Weine der Beckers – waren vor ein paar Monaten beim Besuch des Weinguts vor Ort nicht zu verkosten UND auch nicht zu kaufen. Nicht, dass sie nicht verfügbar gewesen wären. Nein. Sie waren im Keller. Fein säuberlich gezählt, mit dem Aufkleber versehen [Foto] und weggeschlossen. Warum?

 

Nun, der Amtsschimmel hatte zugeschlagen. Offenbar gibt es in Deutschland ein Gesetz, das besagt, dass keine Weine, deren Basis [sprich Trauben] ausserhalb der Landesgrenzen wachsen, deutsche Lagennamen

tragen dürfen. Bei einer Gemeinde wie Schweigen, die sich an Frankreichs Aussennaht kuschelt und deren Weingüter seit Jahrhunderten schon existieren, ein gelinde gesagt schwieriges Unterfangen. Grenzen werden gezogen und wieder aufgehoben. Erkämpft oder verloren. Lagen, Weingüter und das Terroir bleiben…zumeist. Ehrlich gesagt, wen interessiert überhaupt unter welcher nationalen [europäischen!!] Flagge die Trauben ein paar Meter weiter links oder rechts wachsen!?!? Das Amt interessierte es jedenfalls jahrelang nicht.

 

Becker macht tolle Weine. Das Weingut ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt und verkauft seine Preziosen mit grossem Erfolg. Das wiederum interessiert wohl andere Weinproduzenten. Vielleicht war es Übergehorsam [das würden wir gern glauben], vielleicht ein blosses Versehen [schön wär’s] oder es war der blosse Neid der nahen Konkurrenz. Jedenfalls wurde das Verfehlen anonym angezeigt. In der Folge wurden tausende von Flaschen Weiss- und Rotweine wie beschrieben von Amtes wegen «weggesperrt». Ämter und Kollegen gibt's...

 

Der Riesling «Holzgasse» ist ein wunderbares Beispiel für die Schaffenskunst der Beckers. Zitronen- bis Goldgelb im Glas. Mit weichem Glanz und schöner Viskosität. In der Nase merkt man die Kalkböden auf denen die Trauben wachsen. Steine und Kalk gepaart mit etwas Rosmarin und frisch geschnittenen grünen Äpfeln. Am Gaumen knackige Säure. Mandarinen, Mango und eine Spur Bienenwachs. Der Tropfen hat eine geile Spannung. In der Mitte des Gaumens zieht er richtig ein und verlangt nach mehr. «Guter Trinkfluss» trifft es präzis. Das heute begleitende rote Thai Curry lässt den Geniesser schier unendlich essen und trinken.

 

Es ist zu vermuten, dass hier jemand auf diesen – und wohl noch viel mehr auf die wunderbaren Spätburgunder – einen neidvollen Blick warf, zum Telefonhörer griff und den Amtsschimmel auf den Plan rief. Eigentlich schade. Neid und Angst sind nie gute Ratgeber. Nach dem juristischen Hick-Hack sind die Weine nun aber freigegeben. Sie sind weiterhin beklebt und dadurch irgendwie auch kultig. Hat man doch ein Stück deutscher [juristischer] Weingeschichte im Glas.



«BLACK HOLE SUN»

Miquel Oliver, Syrah, 2012

 

Weinbewertung: 23. November 2016

Herkunft: Spanien, Mallorca

 

N: Dunkle Waldbeeren, Eukalyptus, orientalische Gewürze

G: Klare Konturen, Sauerkirschen, rote Pflaumen, süsser Tabak, Teer

 

WF: 9.0/10.0 [sound of garden of eden]

 

Preis: CHF 26.- | € 19.-

Bezugsquelle: Globalwine [CH] | Vinos.de [DE]

Miquel Oliver, Syrah, 2012
Miquel Oliver, Syrah, 2012

Kommentar: Es gibt Weine, die umweht ein Hauch Düsternis. Damit sind nicht Weine gemeint die, lächerlicherweise «Mordor» oder sowas in der Art heissen. Auch nicht, dass sie farblich komplett deckend bis fast schwarz wären. In diesem Fall ist die Farbe sogar eher seidig rot und der Wein lässt den Geniesser tief blicken und träumen.

 

Vor ein paar Wochen wurde durch puren Zufall ein Törchen in die Vergangenheit aufgestossen. Die Band «Temple of the Dog» hat vor rund zwanzig Jahren ein einziges Album veröffentlicht. Aus zwei schon damals grossartigen Bands [Soundgarden und Pearl Jam] entstand mit diesem einmaligen Projekt etwas Monumentales. Die 10 Tracks veränderten in der Folge das Dasein vieler Teenager tiefgreifender als es bis zu diesem Zeitpunkt wohl irgendein Elternteil, Lehrer, Freund oder Freundin vermochte. Es hinterliess – wie man gerade sieht – Spuren die nicht gelöscht werden können. Dieses Stück Musikgeschichte wiederholt sich gerade: Die Band gibt eine Reunion. Das Album kommt «remastered» nochmals auf den Markt.

Um das zu feiern, kramt man also die alten CD’s aus dem Keller und holt so ziemlich alles Musikalische rauf was die damalige Epoche ausmachte. Da der Wein logistisch nur ein paar Schritte entfern ist, nimmt man noch zur Sicherheit eine gute Flasche mit. In diesem Fall passte sie zumindest äusserlich extrem gut zu einem speziellen Lied, nein eigentlich einer Hymne der damaligen Zeit: «Black Hole Sun» von Soundgarden.

 

Düsterer und leicht psychedelischer Groove zu Beginn. Die ersten paar Melodien ziehen Dich einem Strudel gleich in die Düsternis und Dunkelheit. Man fällt. Die ersten Worte von Chris Cornell hingegen sind sowas von klar, messerscharf, unerbittlich und in die Länge gezogen. Doch gleichzeitig aufbauend, stapelnd, kräftiger werdend und machtvoll. Im Refrain zertrümmern sie dann den Hörer richtiggehend. Nur um ihn ein paar Sekunden später wieder aufzubauen. Stück um Stück. Wort um Wort. Ein auf und ab der Gefühle. Doch stets wird man getragen auf einer Art weichem Klangteppich. Nie fällt man richtig.

 

Der Syrah von Miquel Oliver passte hervorragend als önologische Begleitung. Der Winzer feiert mit dem Jahrgang 2012 das hundertjährige Bestehen seines Weinguts. Um das vorweg zu nehmen: Dies ist kein Wunder. Mehrere seiner Weine überzeugen vollends. Zum Glück ist das Weingut noch nicht ganz so populär wie andere von der Insel. Seinem Syrah sind wir bisher – wie jedem Syrah – erfolgreich und bewusst aus dem Weg gegangen. Im Nachhinein eigentlich unbegründet. Das Pfeffrige hat er nicht inne. Es ist ein Syrah wie er schmecken sollte: Wie ein Tempranillo! ;-) Wie geil!


Auf dem Etikett steht eine vom Mond verdunkelte Sonne. Man weiss nicht genau ob die Finsternis zu- oder abnehmend ist. Passend zum ersten Eindruck, tauchen erstmal dunkle und fast schon schwarze Beeren im Nasenbild auf. Dicht darauf folgen frische Eukalyptusnoten die aufbrausend wirken und exotische Gewürze die dem ganzen Gemenge eine seltsam fidele und beschwingte Nasenphysis geben. Am Gaumen überraschen dann eher akkurat abgewogene Aromen nach Sauerkirschen, roten Pflaumen und eine Spur süssem Tabak. Eine Messerspitze Teer rundet dann wunderschön und im Stile der Stimme eines Chris Cornell die Symphonie ab. Tief einatmen. Der Kreis schliesst sich. Die nächste Strophe, der nächste Schluck kommt. Alles beginnt abermals.

 

Nehmt Euch eine Nase, ein Ohr und den Gaumen voll von diesem schönen Klang- und Weinerlebnis. Ihr werdet staunen und fliegen. Rauf und runter. Vor und zurück. Im Glück und in der Zeit.



«DON – DER KLEINE PATE»

Doppiozeta, Zisola, Mazzai, 2008

 

Weinbewertung: 12. November 2016

Herkunft: Italien, Sizilien

 

N: Schiefer, Menthol, Kirschen, schwarze Pflaumen

G: Dicht, süsslich, Kautabak, Teer, Feigen

WF: 9.0 [mörderisch gut]

 

Bezugsquelle: Terravigna [CH] | Boller Weine [DE]

Preis: CHF ~38.- | € ~28.-

Kommentar: «Der kleine Dicke»! Sowas in der Art schiesst einem durch den Kopf, wenn man den Wein zum ersten Mal sieht. Etwas tiefergelegt und mollig ist die Flasche geraten. Doch, sind das nicht alle wirklichen Paten? Zumindest die, welche man am Fernsehen sieht. Wie bei den Dons auf der Mattscheibe, hat die wahre Erscheinung des Doppiozeta nicht wirklich viel mit seinen wahren inneren Qualitäten und Grösse gemein.

 

Dieser Wein ist wirklich gross. Mindestens doppelt so gross wie die Flasche ihn erscheinen lässt. Der Tropfen landete schon x-Fach in unserem Glas. Nie, aber

wirklich nie wurden wir enttäuscht. Der Wein ist der eigentliche Grund dafür, dass vor rund 10 Jahren Sizilien und Nero d’Avola eine Gaumen-Chance bekamen. Nach all den «Suppen» und dicklichen Enttäuschungen  von der Insel, glaubten wir schon fast nicht mehr daran, Zugang zur Region und Traubensorte zu finden. Doch dann kam eben der kleine Dicke dazwischen!

 

Seit der «Erweckung» verkosteten wir viele Jahrgänge in der Toskana im Schwesterweingut Castello di Fonterutoli. Neben dem fantastischen Siepi und dem zuverlässigen Chianti Classico Riserva war der Dippiozeta aus Sizilien immer der Grund für eine Notbremsung in einer Kurve auf der Strasse in Richtung Castellina in Chianti.

 

Der Jahrgang 2008 zeigt sich wunderschön «geschmiedet». Alle Komponenten sind verwoben, glatt und auf einander abgestimmt. Es ist die Balance welche bei diesem Wein immer wieder begeistert. Ja, er ist allgemein betrachtet etwas zu jung. Doch dies ist manchmal genau das was grossartige Weine ausmacht. Diese sind eben auch umwerfende in ihrer Jugend. In der Nase sind im Vordergrund Aromen von Menthol, Schwarzkirschen und dunklen Pflaumen auszumachen. In der zweiten Reihe sind Schiefer und Teer zur Stelle und geben dem Tropfen eine spürbare und sehr dichtgewobene Mineralität. Am Gaumen sind es Kautabak, dunkle Schokolade und Feigen die dem Doppiozeta einen kurvenreichen und femininen Body verleihen. Der Trinkfluss ist mächtig. Man möchte vielfach gar nicht das Glas abstellen so sehr zieht der nächste Schluck. Denn die Säure ist überraschenderweise knackig und erfrischend.

 

Neben Narello Mascalese gibt es also auch ein paar Ausgaben des Nero d’Avolo [zum Beispiel Doppiozeta und Mille e una Notte] die es Wert sind Sizilien ganz fest auf seine persönliche Weinkarte zu verankern.



 

«HIMMELSRICHTUNG: NORDSÜD»
Bernhard Huber, Chardonnay, 2007 | Herkunft: Deutschland, Rheinland-Pfalz
Bosan, Amarone, Cesari, 1998 | Herkunft: Italien, Veneto


Huber - Kommentar: Schöner, goldig-gelblicher Chardonnay von Bernhard Huber. Birnenkompott, Honig, Kamillentee, Aprikosenkuchen und Quitten riecht man in der ersten Reihe. In der zweite sind es kieselige Noten und eine Spur Wachs. Am Gaumen feine, sowie dichte Süsse. Etwas Karamell, Brioche und frisches Brot. Wunderbar langanhaltender und etwas wärmender Abgang. Trotz seines Alters wirkt er weder

müde noch zeigt er irgendwelche anderen Alterserscheinungen. Dafür, dass dieser Wein der erste Huber in meinem Glas ist, ist er ein voller Erfolg. Bin grad etwas geflashed und sprachlos... Muss bald wieder eine Reise ins nahe Ausland machen ;-)

 

WF: 9.0 [ausgezeichnet]

 

Bosan - Kommentar: Nach dem echt schönen Huber Chardonnay 2007 nun der für mich eigentliche Star des Abends. OK, der Bosan ist mein Lieblings-Amarone in diesem Preissegment. Weiter oben droht einem ja fast schon die Pleite... Zur Feier also heute meine finale Flasche des Bosan aus dem letzten Millennium. Mein Gott, was hatte ich den gern als er jung war. Jetzt ist er gereift, jedoch kein Stückchen hat er an wahrer Substanz verloren.

 

Alte Amaroni haben mich bisher immer enttäuscht. Zu portig, zu ledrig und der Alkohol...erschlagend. Doch, der Bosan ist schlicht monumental. Zumindest der 1998er hier im Glas! In der Nase Rosen, grüne Peperoni, Schwarzkirschen und dunkle getrocknete Plaumen. Beim Tiefriechen kommen dann noch eine Spur Leder, Tabak, süsslicher Beef Jerky und etwas Teer nach oben. Nach nun doch 18 Jahren ist dieser Tropfen im Vergleich zu andere echt noch ein "Youngster". Am Gaumen erstaunliche Frische mit etwas Zimt und Lakritze. Doch auch gediegene Aromen nach dunkler Schokolade und einem süsslichem Pfeifenrauch betören richtiggehend. Das Tannin kann man hier zurecht "abgeschmolzen" nennen. Die Säure ist noch in der richtigen Dosis präsent um dem Gaumen noch den gepflegten Kick zu geben. Der Alkohol ist trotz seiner 16 Volumen nicht wirklich zu erahnen. Blind hätte ich diesen wahrlich grossen Amarone irgendwo in eine gereifte amerikanische Merlot-Ecke hingetan. Nach der runterhängenden Sprechlade beim Huber fürchte ich hier richtiggehend eine Kinnstarre zu bekommen. Dazu gab es Hirsch-Ragout mit Spätzli und Rotchabis! Jam-jam und Glu-glu!!! :-)

 

WF: 9.5/10.0 [etwas an das man sich gern lange erinnert]



«WILD IM QUADRAT»

Michael Broger, Blauburgunder "Alte Rebe", 2011

 

Weinverkostung: 5. November 2016

Herkunft: Schweiz, Thurgau

 

N: Verschiedene dunkle Beeren, Sauerkirschen

G: Ledernoten, Rauchigkeit, wild und ungestüm

 

Bezugsquelle: Broger Weinbau

Preis: CHF ~70.- [Magnum]

Kommentar: Heute heisst es gesittet aber Wild essen. Eine der oben stramm stehenden Schweizer Schönheiten im Magnumkleidchen soll als Begleitung dabei sein.

 

Die Qual der Wahl fiel dann auf den Tropfen von Michael Broger! Zu Wild - in diesem Fall Hirschentrecôte - passte der Wein zumindest thematisch schon mal sehr gut....

 

In der Nase eher dunkelbeerig und mit einem Überhang an Sauerkirschen. Am Gaumen dann - und hier kommen wir zum Thema - sehr forsch, eigenwillig und etwas ungestühm. Viele "wilde" Ledernoten und Rauchigkeit sowie etwas weisser Pfeffer. Er kommt jedoch nicht als gealtert daher. Eher kann es gut sein, dass ihm noch ein paar Jährchen im Keller gut getan hätten. Vieles schien untypisch für Pinot. Die Erinnerung an ihn ist von der ruhigen und mehrheitlich schmelzigen Seite [kurz nach Abfüllung].

 

Auch wenn der Broger Alte Reben 2011 sich nie dem Essen unterordnen oder mit ihm verschmelzen wollte, passte er doch im weitesten Sinne ganz gut zum Hirsch. Er ist eben ein Charakterkopf! Wie sein Meister Michael Broger auch einer ist.

 

Zwei weitere Magnums des Weins harren noch der Dinge. Für Spannung ist gesorgt.

 

WF: 8.0 [gut bis sehr gut]



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